mercoledì, ottobre 24, 2007


Vincent van Gogh Sternenhimmel

Auszug aus einem Brief von Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo vom 15. Oktober 1879

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Es gibt Nichtstuer aus Faulheit und Charakterschwäche, aus seelischer Gemeinheit – Du kannst mich, wenn Du so über mich denkst, für so einen halten.
Dann gibt es den anderen Nichtstuer, den Nichtstuer wider Willen, der innerlich von einem leidenschaftlichen Wunsch nach Tätigkeit verzehrt wird, der nichts tut, weil es ihm völlig unmöglich ist, etwas zu tun, weil er gleichsam gefangen ist, weil es sein Mißgeschick so gefügt hat; ein solcher Mensch weiß manchmal selbst nicht, was er tun könnte, aber er fühlt instinktiv: ich bin doch zu irgend etwas gut, ich habe eine Daseinsberechtigung! Ich weiß, daß ich ein ganz anderer Mensch sein könnte! Wozu nur könnte ich taugen, wozu könnte ich dienen? Es ist etwas in mir, was ist es nur!
Das ist ein ganz anderer Nichtstuer – Du kannst, wenn Du willst, mich für so einen halten!
Ein Vogel im Käfig weiß im Frühling sehr wohl, daß es etwas gibt, wozu er taugt, weiß sehr wohl, daß er etwas zu tun hat, aber er kann es nicht tun, was ist es doch? Er kann sich nicht recht erinnern, dann kommen ihm unbestimmte Vorstellungen, er sagt sich, „die anderen bauen Nester und zeugen Junge und ziehen die Brut groß“, dann prallt er mit dem Kopf gegen die Stäbe des Käfigs. Und der Käfig bleibt, und der Vogel ist wahnsinnig vor Schmerz.

Seht den Nichtstuer“, sagt ein anderer Vogel, der vorüberfliegt, „der ist eine Art Rentner“. Aber der Gefangene lebt weiter und stirbt nicht; nichts von dem, was in seinem Inneren vorgeht, ist äußerlich bemerkbar; es geht ihm gut, und bei Sonnenschein ist er mehr oder minder fröhlich. Aber dann kommt die Zeit der Zugvögel. Ein Schwermutsanfall, - aber er hat doch alles, was er braucht, sagen die Kinder, die ihn in seinem Käfig versorgen – doch er sieht den gewitterschweren Himmel, und in seinem Innern fühlt er die Empörung gegen sein Schicksal. „Ich bin im Käfig, ich bin im Käfig, und es fehlt mir ja nichts, ihr Dummköpfe! Ich habe alles, was ich brauche! Nur, um Himmelswillen die Freiheit, ein Vogel sein wie andere Vögel“
Ein solcher Menschen-Nichtstuer gleicht einem solchen Vogel-Nichtstuer....
Man könnte gar nicht immer sagen, was es ist, das den Menschen einsperrt, ummauert, zu begraben scheint, aber doch spürt man irgendwelche Schranken, Gitter, Mauern.
Ist das alles Einbildung, Phantasie? Ich glaube nicht. Und dann fragt man sich: Mein Gott, ist es für lange, ist es für immer, ist es für alle Ewigkeit?
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